© Bild: Marco Zocchi (Nächtliche Gebetswache 2020 in Renens)

 
 

 
 
 
 
 
 

 

Nächtliche Gebetswache 2022: Meditation

 
 

«Die Wahrheit erkennen, den Weg finden»

 

Die Wahrheit wurde in der Geschichte der Menschheit immer wieder missbraucht – auch in unserer Zeit. Verunsichert durch Krisen und Veränderungen in der Welt, klammern sich immer mehr Menschen an Vereinfachungen, die auf Verschwörungstheorien und Fake News basieren, welche über soziale Netzwerke verbreitet werden.


Die Wahrheit ist oft schwer zu erkennen. Das ist die Situation, in der sich Pilatus beim Prozess gegen Jesus befand: «Was ist Wahrheit?» (Joh 18,38). Pilatus weiss, dass das politische Spiel von sich widersprechenden Wahrheiten durchsetzt ist, und er bezweifelt, ob es überhaupt eine Wahrheit gibt. Doch Jesus hat ihm eben bestätigt, dass es die Wahrheit gibt: «Mein Königreich gehört nicht dieser Welt an. [...]. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeuge. Alle, die der Wahrheit angehören, hören auf meine Stimme.» (Joh 18,36-37).
Jesus präsentiert sich als Zeuge der Wahrheit bis hin zum Märtyrertod. Aber er beantwortet die Frage des Pilatus nicht.


Christus setzt sowohl den Weg als auch die Wahrheit und das Leben mit seiner Person gleich. Man findet diesen Weg, indem man Christus nachfolgt. Das haben seine Jünger getan. Ist das so einfach? Erinnern wir uns an Petrus, als Jesus ankündigt, er müsse nach Jerusalem gehen, vieles erleiden und getötet werden. Petrus wird als Satan bezeichnet (Mt 16,23), der von Jesus an anderer Stelle als «Lügner und der Ursprung der Lüge» (Joh 8,44) bezeichnet wird. Betrifft der Fehltritt des Petrus nicht auch die gesamte Geschichte der Christen? Wie kann man die Ideen Gottes von den Ideen der Menschen unterscheiden, wenn man sich wie Petrus auf den Weg gemacht hat, Christus zu folgen?


ACAT setzt sich für Gerechtigkeit ein. Aufgrund internationaler Verträge konfrontiert sie die Verantwortlichen mit deren Verantwortung und versucht, ihren Blick auf die Opfer zu ändern. ACAT erinnert daran, dass Folter ein absolutes Verbot und niemals ein Instrument der Gerechtigkeit ist und dass die Todesstrafe ein Verbrechen ist. Wenn wir ChristInnen dafür sensibilisieren, ihren Blick auf die Opfer zu richten, erinnern wir sie daran, dass Menschen in Notsituationen sich auf dem Weg Jesu befinden und dass er sich mit ihnen identifiziert hat: «Wahrhaftig, ich sage euch, alles, was ihr für eine oder einen von diesen Geringsten nicht getan habt, habt ihr auch für mich nicht getan.» (Mt 25,45).


Die Nächtliche Gebetswache ist eine gute Gelegenheit, um Gott die Opfer wie auch die Folterer anzuvertrauen sowie diejenigen, die sich vom Drama der Folter betroffen fühlen und diejenigen, die es gleichgültig lässt. Gelegenheit auch, darum zu bitten, dass der Geist der Wahrheit in ihnen allen für eine gerechtere, menschlichere Menschheit wirke.

 

 


(Auszüge aus der Meditation von ACAT-Frankreich. Der ungekürzte Text auf Französisch ist verfügbar auf www.nuitdesveilleurs.fr)