40 Jahre ACAT: Rückblick Jubiläumsfeier

 

Am 12. September 2021 feierte ACAT-Schweiz ihr 40-jähriges Jubiläum in der französischen Kirche in Bern. Vielen Dank an alle, die in echt oder in Gedanken dabei waren ♥.

 
 

Bilder

 
 

 
 

(BILDER: ACAT-Schweiz)

 

Medienberichte

 

 

 
 
 

Reden

 

Eine Auswahl der Texte, die während der ökumenischen Feier vom 12. September 2021 vorgelesen wurden.

 

→ Worte von Christine Morerod, Präsidentin ACAT-Schweiz

→ Zeugenaussage von Yavuz Binbay, Gründer und Leiter unserer Partnerorganisation SOHRAM

→ Predigt von Irène Anna Burkart, ACAT-Gruppe Cham

 

Rede von Christine Morerod, Präsidentin ACAT-Schweiz

 

«Hier sind wir also, am Tag nach dem 11. September. Es war ein Dienstag. General Pinochet stürzte 1973 die Regierung Allende und errichtete in Chile eine Diktatur mit blutigen Hinrichtungen, Verschwindenlassen und Folter.

 

In den 1970er und 1980er Jahren erhoben sich überall grosse Menschenmengen, die auf das Schicksal von gefolterten Menschen wie Anatoli Koriaguine in den sowjetischen Gefängnissen oder Luz de la Nieves in Santiago aufmerksam machten und Gerechtigkeit in einer damals von Kommunismus und Antikommunismus geprägten Welt forderten.

 

ACAT wurde 1974 in Frankreich von zwei gläubigen Frauen (Hélène Engel und Edith du Tertre) gegründet. Ihre Inspiration hat etwas Magisches: Sie lässt berücksichtigt keinerlei Kategorien, wenn es um Gefolterte geht. Eine magische Inspiration? Eher evangelisch. Denn ACAT erinnert an Jesus Christus, einen von Gott erfüllten Menschen, der, bevor er zu Tode gefoltert wurde und dann wieder auferstand, viele heilte, ohne sich darum zu kümmern, ob die Leidenden gut oder schlecht und sogar jüdisch waren oder nicht. Gott, egal wie er heisst, ist voller Barmherzigkeit für seine Kinder, egal wie sie heissen.

 

Das gilt auch heute noch, in einer Welt, die sich seit Dienstag, dem 11. September 2001, so sehr verändert hat. Die terroristische Bedrohung ist allgegenwärtig, spaltend und teuflisch. Die Anschuldigung des Terrorismus ist für bestimmte Mächte sehr bequem geworden. Und die sozialen Netzwerke, die für eine bessere Welt sorgen sollten, verstärken Hass und Misstrauen.

 

Kurz gesagt: Am Anfang wollte ACAT Informationen in die Kirchen bringen, um das Herz und die Seele zu begeistern. Wie können wir diese Botschaft heute mit der entchristlichten Welt, die von mehr oder weniger wahren Informationen und emotionalen Schlägen überflutet wird, in Einklang bringen? Auf jeden Fall hat ACAT-Schweiz auch 40 Jahre nach ihrer Gründung immer noch eine gute Daseinsberechtigung – oder eine schlechte, denn Folter und Todesstrafe entmenschlichen immer noch Opfer und Folterer, und unmenschliche, grausame und erniedrigende Behandlungen, wie sie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte genannt werden, zerstören weiterhin Leben.

 

Aber hab Vertrauen! Das sanfte und subtile Flüstern des Geistes ist am Werk. Es gibt immer Menschen, die bereit sind, sich für den Schutz der Erde und ihrer Bewohner, der gemarterten Schöpfung einzusetzen. Bleiben wir unserer besonderen Berufung in diesem universellen Engagement treu. Folgen wir mit ACAT weiterhin dem inneren Bedürfnis, das uns antreibt, für eine Welt ohne Folter und Todesstrafe zu kämpfen, und bleiben wir in der Hoffnung, denn

 

Gesegnet sind wir, wenn der Hunger und Durst nach Gerechtigkeit tief in uns brennen!

Dann wird sich die Tür unseres Herzens für die Gesten öffnen, die uns aufrichten, und auch wir werden aufgerichtet werden.»

 

Christine Morerod

 

Rede von Yavuz Binbay, Gründer und Leiter unserer Partnerorganisation SOHRAM

 

«Vielen Dank für Ihre freundliche Einladung.

 

Dank der Unterstützung von ACAT-Schweiz ist es mir möglich, vielen Opfern von Folter, Gewalt und Krieg in Diyarbakir wichtige Hilfe zu leisten. Es ist uns gelungen, das Leid von Hunderten von Opfern von Folter, Krieg, ethnischer und religiöser Diskriminierung und Gewalt zu lindern.

 

Ich bin auch ein Folteropfer, ich wurde mehrmals gefoltert, das erste Mal mit 14 Jahren, ich war ein Kind in der Oberstufe.

 

Ich kenne die Leiden der Opfer sehr gut und spüre sie in meiner Seele. Diese Gefühle sind meine Würde als menschliches Wesen.

Was ist die Würde des Menschen? Sie besteht darin, seinen Nächsten zu lieben wie sich selbst. Es geht darum, Gleichheit mit Respekt für den anderen zu akzeptieren, und das Leiden der anderen zu spüren und sich mit ihnen zu solidarisieren. Die Menschenwürde ist eine Chance, an Gottes Barmherzigkeit teilzuhaben.

 

Wenn Sie diese Rolle spielen können, werden Sie die Barmherzigkeit Gottes spüren, und Sie werden der Grund für die Barmherzigkeit Gottes sein. Sie gibt Ihnen Kraft und Sie können die Kraft, die Sie haben, weitergeben. Die Würde des Menschseins besteht darin, mit anderen zu teilen.

Ich habe diese Gefühle viele Male gespürt, im Gefängnis und sogar als ich gefoltert wurde. Ich versuchte, diese Gefühle mit meinen Freunden im Gefängnis zu teilen, und als ich sie mit ihnen teilte und versuchte, ihnen zu helfen, fühlte ich mich stärker und mein persönliches Leiden nahm ab, und ich teilte es weiter, bis mein Leiden verschwand. In diesem Moment hatte ich das Gefühl, dass ich der Grund für Gottes Barmherzigkeit war, und das ist bis heute so geblieben. 

 

Vor 28 Jahren erhielt ich einen Brief von einem Mitglied von ACAT-Schweiz im Gefängnis. Der Brief enthielt ein grosses Bild des heiligen Antonius. Als ich das Bild sah, fühlte ich mich gut. Dieses Mitglied von ACAT-Schweiz schickte mir mit ihrem Brief die Barmherzigkeit Gottes. Dieses Bild bewahre ich bis heute in meiner Brieftasche auf. Für mich ist das immer ein gutes Gefühl.

 

Im Namen der Opfer von Folter und Gewalt danke ich den Mitgliedern von ACAT-Schweiz für diese treue Unterstützung.

 

  • Dank Ihrer treuen Unterstützung konnten wir Kontinuität gewährleisten.
  • Es ist uns gelungen, Leid zu lindern und Tausende von Folter- und Kriegsopfern wieder in die Gesellschaft zu integrieren. 
  • Mit unserem Bildungsprojekt für Kinder, die Opfer von Krieg und Folter geworden sind, konnten wir Kindern einen Hoffnungsschimmer für ihre Zukunft geben.
  • Es ist uns gelungen, trotz der traurigen Geschichte unserer Region (1915) eine Brücke der Brüderlichkeit zwischen Muslimen und Christen (Syrern, Chaldäern und Armeniern) zu schlagen und Hunderten von Menschen die Bedeutung der Liebe und des Lichts des Herrn zu vermitteln.
  • Wir haben vielen syrischen Kriegsopfern einen Hoffnungsschimmer für ihre Zukunft geben können, denn unser Zentrum ist zu einem Ort der Begegnung für sie geworden.

 

Ihre Unterstützung ist ein Zeichen der Hoffnung für ein Baby, für ein Kind oder einen alten Menschen, für ein Opfer von Folter und Krieg.

Ich danke Ihnen noch einmal für Ihre treue Unterstützung und hoffe, dass Sie uns auch in dieser für unser Land und die Welt schwierigen Zeit weiter begleiten werden.

 

Mit meinen besten Grüssen.»

 

Yavuz Binbay

 

Predigt von Irène Anna Burkart, ACAT-Gruppe Cham

 

«Schwestern und Brüder, Liebe ACAT-Freundinnen und ACAT-Freunde

 

An diesem besonderen Sonntag, 40 Jahre ACAT, sind wir eingeladen heute hier in Bern miteinander zu feiern. Es verbinden uns gemeinsame Werte und Interessen,unsere Sehnsucht nach Ganzheit, nach Geborgenheit, nach Liebe und Erfüllung.

Dieses Teilen gemeinsamer Hoffnung und Sehnsüchte macht uns Mut. Vielleicht sind wir einander völlig fremd, doch wir sind eine Gemeinschaft von Jung und Alt, von stark und schwach, vor allem aber sind wir mit Gott verbunden.

 

Wir setzen uns ein für Gerechtigkeit und Frieden. Wir treten für die Abschaffung der Folter und der Todesstrafe ein und wir sind aufs Tiefste betroffen von den grausamen unmenschlichen Behandlungen und Verfolgungen von Menschen.

Es bleibt immer noch viel zu tun. Denken wir an die Menschen in Afghanistan, wo sich unmenschliches Leid und tödliche Gefahren ausbreiten.

 

Wir beten und setzen uns für Menschen ein, die wegen ihrer Menschrechtsverteidigung in Gefängnisse gesperrt werden ohne jegliche Kontakte zu ihren Familien. Wir bleiben wachsam gegenüber jedem Machtmissbrauch auch in so genannten zivilisierten Ländern.

 

In Cham, wo ich eine Acatgruppe leite, treffen wir uns jeden letzten Mittwoch im Monat um miteinander zu beten. Wir unterschreiben Bittbriefe an Regierungen, hoffen, dass sie an der richtigen Adresse gelesen und befolgt werden. Dann tragen wir unsere Fürbitten im Gottesdienst vor Gott. Manchmal erhalten wir auch positive Rückmeldungen, die uns natürlich sehr freuen und uns bestärken noch intensiver zu intervenieren.

 

Aber manchmal habe ich doch das Gefühl, dass mir der Boden unter den Füssen weggezogen wird und ich fühle mich machtlos gegenüber all dem Unrecht. Dann ist meine Frage: «Wo bleibt Gott, sieht er das Elend nicht, kann er es nicht ändern?»

Angesichts all dieser Tragödien fühlen wir uns oft so hilflos, so verlassen, auch von Gott!

 

Geht es Ihnen auch so?

 

Dazu eine kleine Geschichte:

 

Eines Nachts hatte ich einen Traum. Ich ging mit Gott am Strand des Meeres entlang. Vor dem dunklen Nachthimmel zogen hell erleuchtet Szenen aus meinem Leben vorüber. Für jede Szene entdeckte ich im Sand Fussspuren. Manchmal sah ich die Abdrücke von zwei Fussspuren, dann wieder nur von einem. Das verwirrte mich, denn ich stellte fest, dass immer dann, wenn ich unter Angst, Sorgen und dem Gefühl der Verlassenheit litt, nur die Abdrücke von einer Spur zu sehen waren.

Besorgt fragte ich Gott: «Herr, als ich begann mich auf dich einzulassen, mit dir zu leben, hast du mir versprochen, auf allen Wegen bei mir zu sein. Aber jetzt entdecke ich, dass in den schwersten Zeiten meines Lebens nur eine Spur im Sand zu sehen ist. Ich verstehe nicht, dass du mich ausgerechnet dann, als ich dich am meisten brauchte, allein gelassen hast?»

 

Da antwortete Gott: «Ich liebe dich und werde dich nie allein lassen, erst recht nicht wenn du in Nöten und Schwierigkeiten bist. Immer dann, wenn du nur eine Fussspur im Sand gesehen hast, da habe ich dich getragen.»

 

Liebe Schwestern und Brüder

 

Da steckt doch eine grosse Wahrheit, eine Zusage dahinter, die uns hilft in unseren Bemühungen nicht aufzugeben. Gott ist da, er ist mit uns auf dem Weg. Wir dürfen auf ihn vertrauen.

 

Im Hebräerbrief ermuntert uns Paulus die Gastfreundschaft nicht zu vergessen. Weil wir nie wissen können ob ein Engel, ob sogar Gott gerade in den schwierigsten Momenten unseres Lebens uns einen Besuch abstattet.

 

Paulus sagt uns, die geschwisterliche Liebe möge bleiben. Also gibt es nicht mehr Christen und Muslime, nicht mehr Arme und Reiche, nicht Frau und Mann, sondern Brüder und Schwestern in Christus.

 

Wir sind aufgerufen uns nicht entmutigen zu lassen, unsere Hoffnung auf Gott und seine heilende Nähe zu setzen. Damit wir in unserer Arbeit glaubwürdig bleiben, müssen wir uns vermehrt mit aller Kraft auf vielfältige Weise für die Menschenrechte engagieren.

Václav Havel schreibt: «Jeder Mensch hat eine Sehnsucht nach Würde, nach Integrität, nach Freiheit, nach Sinn, nach Gott.»

 

Im heutigen Evangelium geht es genau um diese Botschaft. Jesus, der in Nazaret aufgewachsen ist, aber gerade dort mit Argusaugen beobachtet wurde, geht am Sabbat, wie üblich in die Synagoge.

 

Als er aus der Buchrolle des Propheten Jesája vorzulesen begann, waren alle Augen auf ihn gerichtet. Und das, was wir hören, gibt uns Mut und Hoffnung.

Der Geist Gottes hat ihn gesandt, den Armen die frohe Botschaft zu bringen, damit sie nicht verzagen. Den Gefangenen verkündet er die Entlassung, damit sie wieder in Freiheit leben können. Er bringt den Blinden das Augenlicht wieder. Er richtet die Zerschlagenen wieder auf und heilt ihre Wunden.

 

Wir wissen, Jesus ist der gute Hirt, der zu allen Menschen gesandt ist. Er ist der Heiland, er bringt die Heilsbotschaft, die Frohbotschaft zu den Armen, zu den Gefangenen und Gefolterten, zu den zum Tode verurteilten. Durch seine Nähe schenkt er ihnen Kraft und neue Hoffnung.

 

Sie fragen sich jetzt, ja was hat das alles mit mir, mit uns zu tun. Wir leben gut, wir sind in Sicherheit und Freiheit. Ich würde sagen, das hat sehr viel mit uns zu tun. Wir haben die Möglichkeit diesen Menschen ein Gesicht zu geben. Wir alle, die wir hier sind!

 

Das Heute ist unsere Gegenwart. Wir sind gefragt und aufgerufen uns gegen jede Ungerechtigkeit zur Wehr zu setzen. Wir müssen diese Hoffnungsträger sein, die das brennende Feuer weitertragen!

 

«Gott, öffne meine Augen, dass ich die Not der anderen sehe,

öffne meine Ohren, dass ich ihre Schreie höre,

öffne mein Herz dass sie nicht ohne Beistand bleiben.

Gib, dass ich mich nicht weigere, Schwache und Arme zu verteidigen.

Zeige mir, wo man Liebe, Glaube und Hoffnung nötig hat.»

Amen.»

 

Irène Anna Burkart