Juni 2023

 

Schweiz/Eritrea: Asylpolitik

 

ACAT empfängt den Sonderberichterstatter für Eritrea

 

Als ACAT-Schweiz und ihre Partner erfuhren, dass der UNO-Sonderberichterstatter für Eritrea in die Schweiz kommen würde, haben sie verschiedene Treffen mit ihm in die Wege geleitet. Der Sonderberichterstatter erhielt dabei einen detaillierten Einblick in die unmenschliche Schweizer Asylpolitik gegenüber Asylsuchenden aus Eritrea.

 

Diesen Text finden Sie auch in unserem Magazin «Aktiv werden mit ACAT» vom September 2023

 

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Mit einer Petition hatte ACAT-Schweiz 2020 von der Schweizer Justizministerin Karin Keller-Sutter eine humanere Asylpolitik für Menschen aus Eritrea verlangt. Der Hintergrund war die durch die Jahre immer schärfere Asylpraxis gegenüber diesen Geflüchteten – eine Vorgehensweise, die rechten innenpolitischen Tendenzen Rechnung tragen sollte. Doch ACAT-Schweiz biss mit ihren Forderungen und während des darauffolgenden Austausches mit der Justizministerin auf Granit. Unsere Geschäftsstelle verfolgte das Thema aber weiterhin von Nahem und blieb in engem Austausch mit ihren Partnern, die die ACAT-Petition mitgetragen hatten.


Als ACAT-Schweiz erfuhr, dass Mohamed Abdelsalam Babiker, der UNO-Sonderberichterstatter für Eritrea, vom 12. bis 28. Juni 2023 in die Schweiz kommen würde, um dem UNO-Menschenrechtsrat seinen Jahresbericht vorzulegen, handelte sie dann auch sofort. In Absprache mit dem Sonderberichterstatter organisierten ACAT und zwei Partner-NGOs eine Reihe von Treffen, um dem Berichterstatter dabei zu helfen, Informationen über Eritrea zu erhalten – ein Land, das ihm den Zugang verweigert.


Treffen mit Parlamentsabgeordneten


Der Besuch des Sonderberichterstatters begann am 12. Juni mit einer Veranstaltung im Bundeshaus, die gemeinsam mit Nationalrätin Isabelle Pasquier-Eichenberger (Die Grünen) organisiert wurde. Der Berichterstatter prangerte die systematischen Menschenrechtsverletzungen des Diktators Isaias Afwerki an, der unangefochten über Eritrea herrscht, und beantwortete Fragen der Parlamentsabgeordneten. Fast alle Fraktionen des Parlaments waren vertreten. Einziges Bedauern seitens ACAT: Ständerat Damian Müller, Verfasser der Motion für die Wegweisung von abgewiesenen eritreischen Asylsuchenden in einen Drittstaat (siehe Kasten weiter unten), war bei der Diskussion nicht anwesend.

 

 
 
 

Etienne Cottier von ACAT-Schweiz (2. von links) und Mohamed Abdelsalam Babiker, UNO-Sonderberichterstatter für Eritrea (Mitte) mit Delegierten von Schweizer Partnerorganisationen.

 
 
 


Begegnungen mit NGOs und Interviews


In derselben Woche koordinierte ACAT in Genf eine Reihe von Interviews mit abgewiesenen eritreischen Asylsuchenden sowie eine Sitzung mit NGOs aus der Romandie. Für den Sonderberichterstatter waren diese Treffen eine Gelegenheit, Daten über Eritrea zu sammeln. Er konnte auch aus erster Hand erfahren, mit welchen erheblichen Hindernissen eritreische Staatsangehörige in der Schweiz konfrontiert sind. Dazu gehören die Schwierigkeit, Asyl zu erhalten, die extreme Unsicherheit, in der sich abgewiesene Asylsuchende befinden, und der Druck, den das eritreische Regime auf seine Diaspora ausübt.


Am 21. Juni fanden in den Räumlichkeiten der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) in Bern zwei Sitzungen statt. An der ersten kamen Anwälte zusammen, die auf Asylfälle von eritreischen Staatsangehörigen spezialisiert sind. Am zweiten Treffen nahmen Vertreter von NGOs teil, die in der Deutschschweiz für Menschen aus Eritrea tätig sind. In den folgenden Tagen fand eine Reihe von Interviews mit eritreischen Geflüchteten statt.


Treffen mit dem SEM


Gestützt auf diese Zeugenaussagen traf sich der Sonderberichterstatter schliesslich mit Vertretern der Bundes- und Kantonsbehörden, insbesondere mit hochrangigen Mitarbeitern des Staatssekretariats für Migration (SEM), sowie mit Mitgliedern der kantonalen Regierungen und Migrationsämter. Diese Gespräche ermöglichten es ihm, das – allzu oft feindselige – politische Klima gegenüber der eritreischen Bevölkerung in der Schweiz auszuloten.


Der Besuch in der Schweiz war für den Sonderberichterstatter in zweifacher Hinsicht nützlich. Einerseits konnte er wertvolle Informationen über die Menschenrechtssituation in Eritrea erhalten. Andererseits ist der Sonderbeauftragte dank der Begegnungen und Zeugenaussagen nun in der Lage, sich beim Bund für eine Verbesserung des Schicksals der eritreischen Staatsangehörigen in der Schweiz einzusetzen. ACAT-Schweiz hält regelmässig Kontakt mit dem Sonderberichterstatter.

 

Etienne Cottier, Verantwortlicher juristische Dossiers und Interventionen

 

 
 
 

 
 

Der Sonderberichterstatter und sein Dialog mit ACAT-Schweiz


Das Amt des Sonderberichterstatters für die Menschenrechtslage in Eritrea wurde 2012 vom Menschenrechtsrat geschaffen. Bei der Vorstellung seines letzten Berichts am 20. Juni 2023 machte der Sonderberichterstatter die anwesenden Diplomaten darauf aufmerksam, dass sich die Lage in Eritrea weiter verschlechtert habe.
ACAT-Schweiz hatte den Sonder­berichterstatter bereits im Juni 2022 in Genf getroffen, um ihm ihre Besorgnis über die prekäre Lage der Eritreerinnen und Eritreer in der Schweiz mitzuteilen. Seither pflegt sie einen regelmässigen Dialog mit dem UNO-Beauftragten.

 
 
 

 
 

Das Schicksal der Eritreerinnen und Eritreer in der Schweiz


In der Schweiz wird der Asylantrag eines eritreischen Asylsuchenden abgelehnt, wenn er nicht glaubhaft machen kann, dass er am unbefristeten Militärdienst teilgenommen hat. Die Flucht vor der Einberufung ist also kein ausreichender Grund mehr, um Asyl zu erhalten. Trotz zahlreicher alarmierender Berichte über die Menschenrechtslage in Eritrea vertritt das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) seit 2017 die Auffassung, dass im Falle einer Rückkehr kein hinreichend verbreitetes und eklatantes Risiko von Misshandlungen bestehe. Damit widerspricht das BVGer zahlreichen Expertenberichten.


Da es zwischen der Schweiz und Eritrea kein Rückübernahmeabkommen gibt, fallen abgewiesene Asylsuchende unter das Nothilferegime. Sie erhalten daher nur zwischen 8 und 12 Franken pro Tag und dürfen nicht arbeiten. Das (unausgesprochene) Ziel dieses Systems ist es, dass diese prekären Bedingungen die abgewiesenen Asylsuchenden dazu bewegen, nach Eritrea zurückzukehren. In Wirklichkeit sind solche – ironischerweise als «freiwillig» bezeichneten – Rückreisen äusserst selten. Angesichts der Gefahr von Misshandlungen ziehen es eritreische Staatsangehörige, die zur Rückkehr aufgefordert werden, vor, in der Schweiz zu bleiben, wo sie ohne konkrete Möglichkeiten zur Integration und ohne Zukunftsaussichten leben. Einige entscheiden sich dafür, den schwierigen Aufnahmebedingungen in der Schweiz zu entfliehen und in einem anderen europäischen Land Zuflucht zu suchen.

 

Rückführung von eritreischen Asylsuchenden von der Schweiz nach ... Ruanda?!


Am 15. März 2023 reichte Ständerat Damian Müller (FDP) eine Motion ein, welche die Lancierung eines Pilotprojekts forderte, das abgewiesene eritreische Asylsuchende in einen Drittstaat abschieben soll. Der im Motionstext explizit erwähnte Drittstaat ist Ruanda, das bereits ein ähnliches Abkommen mit dem Vereinigten Königreich abgeschlossen hatte (siehe Kampagne von ACAT-Schweiz vom 10. Dezember 2022). Im Unterschied zum britischen Vorhaben würden die Asylverfahren nicht ausgelagert, sondern weiterhin in der Schweiz bearbeitet. Am 5. Juni 2023 nahm der Ständerat die Motion an. Es ist nun am Nationalrat, zu entscheiden, ob er den Bundesrat mit der Einrichtung dieses Pilotprojekts beauftragen will oder nicht.


Für ACAT-Schweiz ist diese Motion schlichtweg inakzeptabel. Mit dem Vorwurf an die Adresse abgewiesener eritreischer Asylsuchende, in der Schweiz von der Sozialhilfe zu profitieren, liegt Damien Müller falsch. Diese erhalten lediglich Nothilfe, womit sie bestenfalls auf ein knapp menschenwürdiges Dasein hoffen können. Zudem zeigen jüngste Berichte, dass Ruanda keine ausreichenden Aufnahmebedingungen für Geflüchtete bietet. Und schliesslich ist es nicht hinnehmbar, dass die Schweiz abgewiesenen Asylsuchenden aus Eritrea ein Aufenthaltsland vorschreibt.

 
 
 

Bild am Seitenanfang: aboodi vesakaran auf Unsplash