Medienmitteilung

 

Bern, 8. Juli 2021

 

ACAT-Klage gegen «Körperwelten»:

Staatsanwaltschaft verzichtet auf Untersuchung

 

Im April erstattete ACAT-Schweiz Anzeige gegen die Verantwortlichen der Ausstellung «Körperwelten» in Zürich. Die Menschenrechtsorganisation forderte Klarheit in der Frage, ob die SpenderInnen der präsentierten Körper in deren Verwendung für diese Ausstellung eingewilligt haben. Einige der ausgestellten Körper könnten von Menschen stammen, die in China hingerichtet wurden. Die Zürcher Staatsanwaltschaft entschied jedoch, nicht auf die Anzeige einzutreten.

 

→ Zu den Quellenangaben und den möglicherweise verletzten Rechtstexten

 

In «Körperwelten» werden verstorbene Menschen zur Schau gestellt, die mit der «Plastinationstechnik» konserviert wurden. In Bezug auf den umstrittenen Ausstellungsmacher Gunther von Hagens und seine Firma «Body Worlds» liegen zahlreiche Berichte, Studien, Prozesse und Entscheide vor. Daraus geht hervor, dass von Hagens nicht über die Einwilligungen aller Personen verfügen dürfte, deren Körper seine Firma bei diesen kommerziellen Veranstaltungen ausstellt. Der Verdacht ist schwerwiegend: Möglicherweise stammen die in Zürich präsentierten Körper (oder einige von ihnen oder Teile von ihnen) von Angehörigen ethnischer Minderheiten, die von der chinesischen Regierung unterdrückt werden. Dies können Mitglieder der Falun Gong-Bewegung oder ethnischer oder religiöser Minderheiten (Uiguren, Tibeter, Christen) sein, «gewaltsam Verschwundene» oder weitere Verfolgte und Hingerichtete. Es ist nämlich nicht auszuschliessen, dass es sich um plastinierte Körper aus von Hagens' alten Sammlungen handelt, die in seinem Labor in China hergestellt wurden, oder um neue Serien aus Plastinationszentren, die sich noch in China oder im Ausland befinden – um Körper, deren Berechtigte keine Erlaubnis gegeben haben, auf diese Weise ausgestellt zu werden.

 

Möglicherweise verletzte Rechtstexte

Ende April 2021 erstattete die Menschenrechtsorganisation ACAT-Schweiz bei der Zürcher Staatsanwaltschaft Anzeige gegen die aktuelle Zürcher Ausstellung bzw. deren Eigentümer, Veranstalter und Kuratoren. Damit stellte ACAT-Schweiz die Rechtmässigkeit dieser Veranstaltung auf der Grundlage mehrerer internationaler, nationaler und kantonaler gesetzlicher Bestimmungen oder Empfehlungen in Frage. In ihrer Anzeige erwähnte sie u. A. die Bioethik-Konvention des Europarats sowie ein Zusatzprotokoll zu dieser Thematik, die Bundesverfassung, das Strafgesetzbuch, und die Verfassung des Kantons Zürich. Es wird auch verwiesen auf die UNO-Anti-Folterkonvention und das internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen. Ziehen von Hagens und sein Team Profit aus schweren Menschenrechtsverletzungen? ACAT-Schweiz hat die Behörden ersucht, diesen Verdacht zu untersuchen.

 

Staatsanwaltschaft: Nichtanhandnahme

ACAT erfuhr jedoch von der Zürcher Staatsanwaltschaft, dass diese nicht auf die Anzeige eingetreten ist. ACAT-Schweiz ist enttäuscht und erstaunt über die sehr summarische Antwort der Rechtsbehörde. Derzeit versucht die NGO, die inhaltlichen und formellen Umstände dieses Entscheids zu klären.

 

Ähnliche Ausstellung in Lausanne verboten

Im Herbst 2018 wurde in Bern unter dem Titel «BODIES echte Körper» eine kleinere Ausstellung eines anderen Organisators, ebenfalls mit plastinierten Körpern, gezeigt, die als «Real Human Bodies» auch in Lausanne gastieren sollte. Sowohl in Bern als auch in Lausanne erstattete ACAT-Schweiz Anzeige. Die Berner Staatsanwaltschaft eröffnete eine Untersuchung, die derzeit immer noch vom Regionalgericht Bern-Mittelland behandelt wird. In Lausanne wurde die Ausstellung vom Verwaltungsgericht des Kantons Waadt verboten. Dieser Rechtsentscheid zeigt unmissverständlich, dass für solche Ausstellungen die freie Einwilligung der Berechtigten nach umfassender Aufklärung vorliegen muss.

 

Zürcher Regierungsrat und Stadt Zürich: «keine Bewilligungen notwendig»

Im Zusammenhang mit « Körperwelten » hat ACAT-Schweiz die Zürcher Stadt- und Kantonsexekutiven ebenfalls gebeten zu prüfen, ob die notwendige Zustimmung aller Berechtigten vorliegt. ACAT bekam dabei Unterstützung der Grünen der Stadt Zürich. Stadt und Kanton sahen mit Verweis auf die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft jedoch keinen Handlungsbedarf.

Ausserdem, so Stadtpräsidentin Corine Mauch in ihrer Antwort an ACAT, bedürfe es in Zürich für Ausstellungen, Veranstaltungen etc. auf privatem Boden grundsätzlich keiner Bewilligung. Regierungsrätin Jacqueline Fehr geht sogar noch weiter, indem sie schreibt, in der Schweiz bedürfe es für Ausstellungen und Veranstaltungen grundsätzlich keiner Bewilligung – ausser feuerpolizeilicher Bewilligungen oder solcher im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie.

 

Die Behörden scheinen anzudeuten, dass Leichen in die Schweiz importiert und in einer öffentlichen Ausstellung gezeigt werden können, ohne dass jemand die rechtlichen Grundlagen dafür kontrolliert oder hinterfragt – nicht einmal die Justiz. ACAT-Schweiz wird das Dossier weiterverfolgen und von den Behörden ergänzende Auskünfte verlangen.

 

Die Ausstellung «Körperwelten – Am Puls der Zeit» wird seit dem 7. Mai und bis am 15. August 2021 in der Halle 622 in Oerlikon-Zürich gezeigt.

 

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Kontakt:

Dominique Joris, Interventionen und juristische Dossiers, d.joris(a)acat.ch, +41 (0)31 312 20 44 oder +41 (0)76 304 20 44

 

Mehr zu ACAT-Schweiz:

Der Verein ACAT-Schweiz setzt sich mit Kampagnen, Briefaktionen, Beratungen, Plädoyers und Medienarbeit für die Abschaffung von Folter und Todesstrafe weltweit ein. Im Fokus der Arbeit von ACAT steht die Würde aller Menschen – unabhängig von Ideologie, Religion, Ethnie oder anderen Eigenheiten. Die ACAT-Bewegung ist in 30 Ländern präsent und bei internationalen Gremien (u.a. UNO, Europarat) vertreten.

 

 
 
 

Quellen

 

«Körperwelten» in Zürich:

 

https://bodyworlds.com/city/zurich/ 

https://koerperwelten.ch/

 

Kontroversen um die Herkunft der präsentierten Körper und die Einwilligung der Verstorbenen:

 

 

Plastinieranlage(n) in Dailan:

 

Gute Zusammenfassung der NGO End Transplant Abusen in China der Situation um die Dailan-Plastinieranlage(n): https://endtransplantabuse.org/an-update-chapter-eleven-a-crime/#plastinated-bodies

 

Gunter von Hagens Aktivitäten in China:

 

 

Juristische Präzedenzfälle (unvollständige Liste):

 

  • Der Untersuchungsausschuss der Russischen Föderation leitete Ende März 2021 eine Voruntersuchung gegen die Ausstellung «Body Worlds» ein, die zurzeit immer noch in Moskau gezeigt wird, da sie gegen russische moralische Werte und Gesetze verstossen könnte.

 

https://www.tdg.ch/lexposition-de-cadavres-humains-visee-par-une-investigation-891541238300

 

  • Von Hagens sah sich zwischen 2015 und 2018 mit Berliner Gerichten konfrontiert, weil er die Herkunft einiger Körper, die er bei den «Body Worlds» in dieser Stadt ausstellen wollte, (und ebenso die Zustimmung der Betroffenen) nicht belegen konnte. Das Problem rührt daher, dass von Hagens dazu übergeht, die verwendeten Körper (oder Körperteile) zu anonymisieren, so dass er nicht mehr in der Lage war, die Zustimmung aller Personen nachzuweisen, deren Körper ausgestellt wurden. Das Verfahren endete 2018 mit einer Vereinbarung zwischen dem zuständigen Berliner Bezirk und von Hagens, damit die Behörden künftig Zeit haben, die Herkunft der Körper zu überprüfen.

 

https://www.nbcnews.com/news/world/dr-death-exhibit-preserved-corpses-banned-berlin-n209441  

https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/MWRE150001057 

https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/MWRE160000116  

https://www.tagesspiegel.de/berlin/polizei-justiz/rechtsstreit-in-berlin-mitte-gericht-lehnt-beschwerde-des-koerperwelten-betreibers-ab/13851864.html  

https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/JURE170037365 

https://www.dw.com/de/umstrittene-k%C3%B6rperwelten-ausstellung-in-berlin-darf-bleiben/a-45430647

 

  • Im Herbst 2018 wurde in Bern eine weitere, kleinere Ausstellung mit dem Titel «BODIES echte Körper» organisiert, die auch in Lausanne unter dem Namen «Real Human Bodies» gezeigt werden sollte. Dank der Anzeigen und Interventionen von ACAT-Schweiz wurde die Ausstellung in Lausanne durch Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Waadt vom 19. Oktober 2018 untersagt, und ein Strafverfahren gegen das betreffende Unternehmen (Huppertz Global GmbH, Boddin, Deutschland), das in Bern ausgestellt hatte, ist noch anhängig. Der Fall wird derzeit vor dem Regionalgericht Bern-Mittelland verhandelt. Obwohl dieser Fall nicht von Hagens oder «Body Worlds» betrifft, zeigt er doch die unabdingbare Voraussetzung, dass für solche Ausstellungen das Einverständnis der Berechtigten der ausgestellten Körper vorliegen muss. In Lausanne konnte der Veranstalter der Ausstellung ein solches Einverständnis nicht belegen.

 

https://www.derbund.ch/bern/stadt/umstrittene-leichenschau-zieht-beim-berner-publikum/story/11463235  

Rechtssache Nr. GE.2018.0223, CDAP, 19.10.2018 Tribunal Cantonal Canton de Vaud

https://www.derbund.ch/bern/kanton/lausanne-verbietet-ausstellung-bodies-exhibition/story/12559584  

https://www.letemps.ch/culture/lexposition-real-human-bodies-interdite-lausanne

 

  • Im September 2009 untersagte die Stadt Köln den «Body Worlds» die Zurschaustellung von Körpern beim Geschlechtsakt.

 

https://www.dw.com/en/cologne-bans-part-of-body-worlds-exhibition/a-4705726

 

  • In Paris wurde im April 2009 die Ausstellung «Our body, à corps ouvert» (die nicht von Hagens gehört) durch eine Gerichtsentscheidung des Tribunal de Grande Instance de Paris untersagt, eine Entscheidung, die durch ein Urteil des Pariser Berufungsgerichts bestätigt wurde. Auch in diesem Fall konnte der Veranstalter weder die gesetzeskonforme Herkunft der Körper noch die Zustimmung der Berechtigten belegen.

 

https://www.nouvelobs.com/rue89/rue89-nos-vies-connectees/20090421.RUE9809/l-exposition-de-cadavres-our-body-interdite-par-la-justice.html

 

  • Im Jahr 2004 kam es zu einer weiteren Kontroverse, als von Hagens 56 Leichen aus Russland erwarb, um sie zu plastinieren. Auch hier gab es Zweifel an der Einwilligung der Verstorbenen. Von Hagens wurde von einem lokalen Gericht in Novosibirsk, Russland, entlastet, aber ein höheres Regionalgericht hatte den Fall auf der Grundlage neuer Beweise wieder aufgerollt.

 

https://www.dw.com/en/case-of-russian-corpses-back-to-haunt-von-hagens/a-1095266

 

  • Im Jahr 2003 kam es zu einer ähnlichen Kontroverse in Bischkek, Kirgisistan, wo eine Untersuchung durchgeführt wurde, ebenfalls bezüglich der Einwilligung der Verstorbenen.

 

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1126850/

 

 

Mögliche Verletzung verschiedener Gesetzestexte in der Schweiz

 

Die verschiedenen Berichte, Studien, Untersuchungen, Prozesse, Entscheide, Artikel und Polemiken, die vorgenannt in Bezug auf Gunther von Hagens und Body Worlds angeführt wurden, veranlassen uns, die Rechtmässigkeit der Ausstellung Körperwelten, die in Zürich stattfinden soll, auf der Grundlage mehrerer internationaler, nationaler oder kantonaler gesetzlicher Bestimmungen oder Empfehlungen in Frage zu stellen.

 

A. Nach dem Europäischen Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin[1]  und dem Zusatzprotokoll über die Tranplantation menschlicher Organe und Gewebe zum Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin[2] dürfen « der menschliche Körper und Teile davon [...] als solche nicht zur Erzielung eines finanziellen Gewinns [...] verwendet werden » [...]; « Wird bei einer Intervention ein Teil des menschlichen Körpers entnommen, so darf er nur zu dem Zweck aufbewahrt und verwendet werden, zu dem er entnommen worden ist; jede andere Verwendung setzt angemessene Informations- und Einwilligungsverfahren voraus »; und « Die Vertragsparteien gewährleisten einen geeigneten gerichtlichen Rechtsschutz, der darauf abzielt, eine widerrechtliche Verletzung der in diesem Übereinkommen ver­ankerten Rechte und Grundsätze innerhalb kurzer Frist zu verhindern oder zu beenden (Art. 21, 22, 23 Konvention und Art. 21 Protokoll). Und schliesslich: « Der Handel mit Organen und Geweben ist verboten » (Art. 22 Protokoll). Da das Übereinkommen und das Protokoll von der Schweiz ratifiziert wurden, sind Bund, Kantone und Gemeinden verpflichtet, deren Bestimmungen anzuwenden.

 

→ Die betreffende Ausstellung wird von Tausenden von Menschen besucht. Eine Eintrittskarte kostet zwischen 4 und 80 Franken. Die in Zürich ausgestellten Körper oder Körperteile stellen offenbar eine Quelle zur Erzielung eines Gewinns dar. Auch ist es nicht glaubhaft, dass von Hagens und seine Firmen Dutzende ähnlicher Ausstellungen pro Jahr organisieren, ohne dass damit die Absicht oder die Notwendigkeit verbunden wäre, einen Gewinn zu erzielen. Liegt ein solcher Gewinn vor, ist davon auszugehen, dass die Bestimmungen des Übereinkommens und des Protokolls verletzt werden.
→ Gleiches würde gelten, wenn der Veranstalter/Eigentümer/Kurator der Ausstellung nicht über die entsprechende Einwilligung aller Personen verfügt, deren Körper (oder Körperteile) in der Veranstaltung ausgestellt werden.

 

B. Die Bundesverfassung schützt die Menschenwürde (Art. 7 und 119 a §1 BV), ebenso die Verfassung des Kantons Zürich (Art. 9 Zürcher Verfassung). Auch das Recht auf Leben und auf körperliche und geistige Unversehrtheit wird durch diese beiden Texte geschützt (Art. 10 BV und Art. 10 Verfassung des Kantons Zürich, als Garantie der Grundrechte).

 

→ Sollte sich herausstellen, dass die ausgestellten Körper (oder Körperteile) Menschen gehören, die (in China oder anderswo) hingerichtet wurden, würden die genannten gesetzlichen Bestimmungen ebenfalls nicht eingehalten.

 

C. Darüber hinaus stellt das Schweizerische Strafgesetzbuch (Art. 262 StGB) [3] die Störung des Totenfriedens unter Strafe, insbesondere durch Absatz 2: « Wer einen Leichnam oder Teile eines Leichnams oder die Asche eines Toten wider den Willen des Berechtigten wegnimmt, wird mit Frei­heitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. » Zur Erinnerung: Die Artikel 138 und 139 des Strafgesetzbuches stellen unrechtmässige Aneignung und Diebstahl unter Strafe.

 

→ Auch die fehlende Einwilligung der Berechtigten würde einen Verstoss gegen die genannten Bestimmungen bedeuten.

 

D. Für die Ein- und Ausfuhr von Leichen innerhalb eines Landes des Europarates gilt das Übereinkommen über die Leichenbeförderung vom 26. Oktober 1973. In Artikel 3 wird ein Leichenpass für die internationale Überführung einer Leiche verlangt[4].

 

→ Um die Körper von Deutschland in die Schweiz einzuführen, sollte diese Bestimmung angewendet und beachtet werden.