Bild: Atila Ulcay im Rahmen der ACAT-Sensibilisierungskampagne «Folter ist kein Schicksal, sondern ein Verbrechen».

 
 

Die Ausbildung der Folterer

 
 

Bei den Folterern handelt es sich hauptsächlich um Staatsbeamte: Soldaten, Polizisten, Agenten von Geheimdiensten, Gefängniswächter. Sie sind Amtspersonen und Angestellte der öffentlichen Gewalt und befugt, Verdächtige oder Verurteilte zu verhaften und in Haft zu behalten. Folterer können auch regierungsnahen paramilitärischen Gruppierungen angehören. Diese Leute werden sorgfältig unter den Personen derselben Seite innerhalb streng eingegrenzter militärischer und paramilitärischer Einheiten (Sicherheitskräfte) ausgesucht und müssen sich einem harten Training unterziehen. Blinder Gehorsam den Behörden gegenüber, Unreife, niedrige Selbstachtung und Aggressivität sind ebenfalls Charakterzüge der Persönlichkeit eines Folterers. Dennoch weisen Folterer kein einheitliches psychologisches Profil auf und können deshalb nicht auf sadistische Psychopathen reduziert werden.

 

Die Psychologin Françoise Sironi meint: „Perversion und Sadismus sind tatsächlich Teil des Spiels der Foltersysteme. Normalerweise mögen diese keine Sadisten, denn letztere sind die Ursache von "Fehlverhalten" und "Komplikationen". Um die Angelegenheit zu kontrollieren, kann es vorkommen, dass Psychologen mit dem Foltersystem zusammenarbeiten, namentlich, um Verhörtechniken und effiziente Foltermethoden auszuarbeiten  […] Auch Ärzte werden während der Folter eingeschaltet, namentlich zwischen zwei Sitzungen, um zu kontrollieren, ob die gefolterte Person diese weiterhin auszuhalten vermag“. Ein Foltersystem basiert also nicht nur auf ein paar wenigen Individuen, welche zu Sadismus neigen. Dazu braucht es eine grössere Zahl an Ausführenden, welche willens sind, Dinge zu tun, zu welchen normalerweise nur wenige Menschen bereit sind.

 
 

Normale Menschen müssen also zu Folterknechten gemacht werden.

 
 

 

Dazu sind drei Voraussetzungen nötig:

 

Das Vorhandensein einer Konfliktsituation und einer Ideologie, welche Folterer in der Überzeugung der Nützlichkeit ihrer Arbeit bestärkt.

Grausamkeiten einer sozialen Gruppe gegenüber geht normalerweise eine aggressive Propaganda voraus, welche die Mitglieder dieser Gruppe als eine tödliche Bedrohung für die gesamte Gesellschaft darstellt – eine Bedrohung, gegen welche man sich mit allen Mitteln schützen muss -  und als niedrigere, fast nicht menschliche Wesen, welche keine menschliche Behandlung verdienen. Die Grausamkeiten werden also als ein Mittel betrachtet, die moralische oder politische Ordnung wieder herzustellen, die „Schlechten“ zu verjagen und der Gemeinschaft (dem Klan, der Ethnie, dem Land, usw.) zu ermöglichen, in Frieden zu existieren, ja sogar eine bessere Welt zu errichten. Da die Zerstörung des Anderen als einziger Weg betrachtet wird, die eigene Gemeinschaft zu schützen, wird man zum Folterer, um die Seinigen zu schützen. Die begangenen Taten, sogar die schlimmsten, erscheinen ganz und gar akzeptabel und gerechtfertigt. Am Ende dieses Indoktrinierungsprozesses empfindet der Folterer manchmal sogar eine Art Stolz darüber, dass er den Mut hat, „diese schmutzige Arbeit zu tun“. Im Rahmen eines bewaffneten Konfliktes (Bürgerkrieg oder Krieg zwischen Nationen) wird dieser Prozess durch die Tatsache verstärkt, dass die Bedrohung real ist und dass die auf beiden Seiten begangenen Gewalttaten die Hassgefühle nähren. Es gibt keinen Krieg ohne Folterknechte.

 

Straffreiheit

Die Gewissheit möglicher Sanktionen verhindert oft, dass Verbrechen begangen werden. Aber Folterer können erst foltern, wenn sie wissen, dass sie weder strafrechtlich verfolgt noch verurteilt werden.

 

Alle Foltersysteme haben die Straffreiheit sorgfältig eingerichtet:

  • Eliminierung und/oder Verschwindenlassen der Opfer, der Zeugen, der Archive
  • Gleichschaltung der Gerechtigkeit: Strafverfolgungen werden nicht eingeleitet, die seltenen Gerichtsverfahren führen zu keinem Ergebnis, lediglich ein paar „kleine Angestellte“ werden manchmal verurteilt.
  • Ein Klima der Kollegialität wird aufgebaut: man verrät nicht seine Kollegen, man besudelt nicht die Ehre der Armee.
  • Ausnahmegesetze werden eingeführt, das Kriegsrecht und der Ausnahmezustand werden ausgerufen, der Krieg gegen den Terrorismus: die öffentlichen Freiheiten sind eingeschränkt, die Macht von Militär und Polizei erweitert, Polizeigewahrsam verlängert, geheime Haft wird zur Regel.
  • Die Definition von Folter wird abgeändert, zum Beispiel indem verfügt wird, dass man nicht von Folter spricht, solange keine schwerwiegenden und irreversiblen physischen Schäden verursacht werden.
  • Amnestiegesetze werden verabschiedet.

 

Sich einer Autorität unterwerfen

In den 60-er Jahren haben die Experimente von Stanley Milgram [Stanley Milgram : « Soumission à l’autorité », Calmann Lévy, 1974. Un passage du film d’Henri Verneuil « I comme Icare » (1979) mit Yves Montand beschreibt das Experiment von Milgram] an der Universität von Yale klar gezeigt, dass fast 2/3 der normalen Menschen bereit sind, einer als „ungehorsam oder widerspenstig  betrachteten Person“ heftige wiederholte und schmerzhafte Elektroschocks zuzufügen, wenn man ihnen den Befehl dazu erteilt und sie sich durch eine „Behörde“ gedeckt fühlen. „Manche Leute akzeptieren irgendeine Arbeit, vorausgesetzt, dass sie der Autorität einer Person unterstellt ist, welche die Verantwortung übernimmt. […] Sobald man etwas getan hat, (vor allem, wenn es etwas Dummes ist oder etwas, das zu Spannungen führt), tendiert man dazu, sich zu rechtfertigen, indem man weiterhin dasselbe tut, man verstärkt es sogar, besonders, wenn man sich sehr eingesetzt hatte. Es ist das Prinzip des kleinen Kompromisses, welcher allmählich … zum Zugeständnis wird.“ Aber nebst dieser Neigung, sich einer Autorität zu unterwerfen und seine Taten zu rechtfertigen, indem man bekräftigt, „den Befehlen Folge geleistet zu haben“, gibt es spezifische Methoden, um Folterer auszubilden. Sie werden von den Militärs verwendet, um zukünftige Folterer auszuwählen und einzuführen.

 

Diese Identitätsumwandlung umfasst vier Stufen:

  • Die Einleitung: zu Beginn der Ausbildung heben die Ausbilder die Identität und Persönlichkeit der Kandidaten hervor, indem sie ihnen schmeicheln und an ihre Gerechtigkeits-,  Wahrheits- und generellen Ideale appellieren und indem sie die zukünftigen Folterer als Träger der Attribute einer „idealen Männlichkeit“ bezeichnen (Stolz, Härte und Gehorsam).
  • Der Abbau der ursprünglichen Identität: die Ausbilder werden plötzlich brutal und unberechenbar und zerbrechen so die gewohnten Bezugspunkte. Die Rekrutierten werden harten und erniedrigenden Prüfungen unterzogen, welche darauf abzielen, die ursprüngliche Identität zu zerstören. Sie müssen absurde Dinge tun, sie werden folterähnlichen Grausamkeiten unterworfen.
  • Der Beitritt zu einer neuen Zugehörigkeitsgruppe, welche durch das Geheimnis verbunden ist, bildet die nächste Stufe. Die Erniedrigungen hören plötzlich auf und die Stärke, der Mut und die Ausdauer werden erneut gewürdigt.
  • Die Beitrittsbestätigung mittels einer offiziellen Zeremonie ist das Ende des Ausbildungsprozesses. Die Kandidaten haben nun eine neue Identität innerhalb einer neuen Gruppe angenommen und gelten gegenüber den Nicht-Eingeweihten als überlegen. Der Eingeweihte und seine Ausbilder sind fortan durch ein Geheimnis verbunden. Sie gehören nicht mehr der gewöhnlichen Welt an. Sie sind abseits stehende, höhere Wesen und stehen über dem Gesetz. Einzig ihren Vorgesetzten gilt nun ihre Treue.

 

Quellen: Pädagogisches Dossier unter www.acatfrance.fr, « Torture et traumatismes : diagnostique et traitements » (Croix-Rouge suisse et le Collège de Médecine de Premier Secours (CMPR), Françoise Sironi : « Comment devient-on un bourreau, les mécanismes de destruction de l’Autre » (Conférence prononcée au Collège de France le 31 Janvier 2001).