Misshandlung in der Schweiz

 

CPT bestätigt unsere Feststellungen

 

Auch in der Schweiz gibt es noch in zahlreichen Haftorten Missstände, mitunter inakzeptable. Als das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) unser Land 2021 besuchte, überprüfte es einige dieser Anstalten. In seinem im Juni 2022 veröffentlichten Bericht nimmt das CPT mehrere unserer Kritikpunkte auf.

 

Diesen Text finden Sie auch in unserem Magazin «Aktiv werden mit ACAT» vom August 2022.

 

→ Was ist das Komitee zur Verhütung von Folter (CPT)?

→ kurzer Radiobeitrag «Folter: auch in der Schweiz ein Thema»

 

Auf Anregung von ACAT-Schweiz ging im März 2021 ein Schreiben an das CPT, mit dem das Komitee auf Orte des Freiheitsentzugs in der Schweiz aufmerksam gemacht wurde, die als problematisch oder sehr problematisch gelten. ACAT-Schweiz hat diesen Brief zusammen mit der Arbeitsgruppe Dublin-Appell und der Beratungsstelle Freiheitsentzug des Vereins humanrights.ch verfasst. Erstere hat sich zur Aufgabe gemacht, das Staatssekretariat für Migration (SEM) auf Fälle von verletzlichen Personen hinzuweisen, über die im Rahmen des Dublin-Verfahrens ein Nichteintretensentscheid gefällt wird; letztere erteilt Inhaftierten und deren Angehörigen Rechtsberatung.


Aufgrund besonderer Vorfälle wie auch allgemeinerer Probleme haben die Organisationen für das CPT eine Liste mit Empfehlungen der zu besuchenden Anstalten erstellt.

 

DIE EMPFEHLUNGEN


Asyl: physische Gewalt, inakzeptable Sanktionen


Im Asylwesen empfahl die Arbeitsgruppe Dublin-Appell dem CPT vor allem den Besuch von Einrichtungen, wo mutmasslich physische Gewalt vorgekommen ist. Es handelt sich um die Bundesasylzentren (BAZ) Giffers (FR), Boudry (NE), Bässlergut (BS), Embrach (ZH), Altstätten (SG), Glaubenberg (OW) und das Zentrum für unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMA) Étoile in Genf. Die Arbeitsgruppe wies auch auf das inakzeptable Handeln gewisser Angehöriger des privaten Sicherheitsunternehmens Protectas im BAZ Boudry hin, namentlich die Verwendung von Containern als Disziplinarmassnahme. Schliesslich wurde die Managementpolitik der BAZ insgesamt angeprangert, denn diese erleichtert den Marktzugang für private Organisationen, welche ihre Dienstleistungen zu tieferen Preisen anbieten, und verdrängt so auf Kosten der Lebens- und Gesundheitsbedingungen der Asylsuchenden öffentliche oder Vereinsstrukturen.


Gefängnisse: Haft trotz psychischer Störungen


Im Bereich der Gefängnisse unterstrich die Beratungsstelle Freiheitsentzug vor allem die Mängel von Artikel 59 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs. Dieser regelt die Behandlung von Straftätern mit einer schweren psychischen Störung. Nach seinem Wortlaut wird eine therapeutische Massnahme solange in einer geschlossenen Anstalt durchgeführt, als zu befürchten ist, der Straftäter könnte fliehen oder neue Straftaten begehen. Wie das Schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte (SKMR) vorgängig bemängelt hatte, entspricht diese Bestimmung jedoch nicht dem Minimalstandard der «Nelson Mandela-Regeln». Dieser Standard legt nahe, dass Menschen nicht in einem Gefängnis festgehalten werden sollen, wenn sie nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können oder wenn nachträglich eine geistige Behinderung oder eine andere schwere Beeinträchtigung festgestellt wird und sich der Zustand durch den Gefängnisaufenthalt verschlechtern würde.


CPT: AUFNAHME UNSERER KRITIKPUNKTE


Vom 22. März bis 1. April 2021 hielt sich eine CPT-Delegation in der Schweiz auf und besuchte elf Polizeieinrichtungen, elf Haftorte, ein BAZ und eine psychiatrische Klinik. Dieser periodische Besuch – der bisher siebte an der Zahl – fand in sieben Kantonen statt, nämlich Waadt, Genf, Neuenburg, Bern, Aargau, Solothurn und Zürich. Am 8. Juni 2022 veröffentlichte das CPT seinen Bericht über diese Orte des Freiheitsentzugs sowie die Antwort der Schweizer Behörden.


Von den acht Einrichtungen im Asylbereich, deren Besuch die NGOs empfohlen hatten, wurde nur das BAZ Boudry kontrolliert. Im Gefängniswesen wurden zwei der fünf empfohlenen Anstalten besucht. Mehrere unserer Kritikpunkte sind beim CPT-Besuch auf Echo gestossen und haben in dessen Bericht ihren Niederschlag gefunden.


Insbesondere ist zu begrüssen, dass das CPT das BAZ Boudry aufgefordert hat, die für Disziplinarmassnahmen verwendeten Container unverzüglich ausser Betrieb zu nehmen. Die Delegation übte ausserdem heftige Kritik an der fehlenden Kooperationsbereitschaft der Sicherheitsfirma Protectas während des ganzen Besuchs. Überdies erklärte sie, die zahlreichen Hinweise auf physische Gewalt im BAZ Boudry sehr ernst zu nehmen, auch wenn sie solche bei ihrem Besuch nicht feststellen konnte. Schliesslich kritisierte das Komitee die langsamen Fortschritte bei den stationären Massnahmen gemäss Artikel 59 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs heftig. So werde bei der verzögerten Weiterentwicklung desselben ausser Acht gelassen, welch schädigende Auswirkungen eine langfristige Inhaftierung ohne Aussicht auf Entlassung auf Menschen mit schweren psychischen Störungen hat.

 

DIE ANTWORT DER SCHWEIZ


In ihrer Antwort an das CPT erklärte die Schweiz, die allfälligen Verstösse der Sicherheitsdienstleister gegenüber Asylsuchenden im BAZ Boudry seien nicht Gegenstand statistischer Erhebungen. Sie machte jedoch keine Angaben darüber, ob die Einführung eines solchen Statistiksystems vorgesehen sei oder zumindest erwogen werde.


Das SEM bekräftigte jedoch, es nehme die Gewaltvorwürfe ernst, untersuche jeden Vorfall und entlasse fristlos jegliche Angestellten, die die Richtlinien nicht einhielten. Es verpflichtete sich auch, dem Inhalt der Aus- und Weiterbildungen in den BAZ mehr Aufmerksamkeit zu schenken und bei Bedarf Korrekturmassnahmen anzuordnen. Ganz konkret wurden schliesslich die zwei für die Isolation als Disziplinarmassnahme bestimmten Container unmittelbar nach dem Besuch des CPT entfernt, wie es das Komitee empfohlen hatte.


In Bezug auf das Gefängniswesen äusserte sich die Schweiz nicht zu den nachteiligen Auswirkungen der langsamen Fortschritte bei Artikel 59 des Strafgesetzbuchs auf Menschen mit schweren psychischen Störungen. Sie gesteht jedoch ein, dass das Umfeld, in dem sich diese Gefängnispopulation befindet, häufig unangemessen ist. Sie weist darauf hin, dass zusätzliche Plätze zur Behandlung von Psychisch Kranken im Aufbau sind.


Zusammenfassend kann man sagen, dass das CPT dank seines Systems der periodischen Besuche einen kontinuierlichen Dialog über seine Haftorte mit dem besuchten Staat aufbauen und unterhalten kann. Es ist höchst bedauerlich, dass die Schweiz nicht eingehender Stellung bezogen hat zu Artikel 59 des Strafgesetzbuchs oder zur Möglichkeit, ein Statistiksystem zu den Fällen von physischer Gewalt aufzubauen. Jedenfalls hat sie sich bemüht, die Empfehlungen des CPT umzusetzen, wenn auch mit ganz helvetischer Gemächlichkeit.


2025: NÄCHSTER CPT-BESUCH


Wenn ein Staat der Veröffentlichung seiner Antwort zustimmt, wie dies die Schweiz getan hat, kann diese Antwort anschliessend von der Zivilgesellschaft nachverfolgt werden. Diese Transparenz erweitert also den Dialog und ermöglicht ein stärkeres Monitoring bezüglich der Haft. Wenn im Jahr 2025 die achte periodische Überprüfung der Schweiz durch das CPT stattfindet, wird sich zeigen, inwieweit sich die Schweiz an die Empfehlungen des Komitees gehalten hat und wo noch Fortschritte erzielt werden müssen. Dann werden die Arbeitsgruppe Dublin-Appell, die Beratungsstelle Freiheitsentzug und ACAT-Schweiz erneut Gelegenheit haben, die Aufmerksamkeit des CPT auf Missstände in den Haftorten zu lenken, die vorrangig besucht werden müssen.

Etienne Cottier, Verantwortlicher juristische Dossiers und Interventionen

 
 
 

 

 
 

Was ist das Komitee zur Verhütung von Folter (CPT)?

 
 

 

Das CPT ist das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe.

 
 

 

Das CPT wurde 1989 mit dem Europäischen Übereinkommen zur Verhütung von Folter des Europarats errichtet.

 
 

 

Das CPT besucht Polizeiposten, Gefängnisse, Haftzentren für Minderjährige, Ausschaffungszentren für Ausländer und psychiatrische Kliniken in allen 46 Mitgliedstaaten des Europarats, um abzuklären, wie Personen im Freiheits­entzug behandelt werden. Diese Besuche finden periodisch alle vier Jahre statt. Nach jedem Besuch erstellt das CPT einen Bericht an die Adresse des besuchten Staats. Der Bericht sowie die Antwort der Behörden bilden die Grundlage für einen anhaltenden Dialog zwischen dem CPT und dem betreffenden Staat.

 
 

 

Die CPT-Delegationen setzen sich aus unabhängigen und unparteiischen Experten wie Ärzte, Juristen, Spezialisten für Strafvollzugs- oder Polizeifragen zusammen. Sie werden als Vertreter der Vertragsstaaten gewählt und haben uneingeschränkten Zugang zu allen Haftorten, wo sie sich auch frei bewegen können. Sie unterhalten sich ohne Zeugen mit Menschen im Freiheitsentzug und können beliebig mit Personen Kontakt aufnehmen, die ihnen allenfalls Informationen liefern können.