Karfreitagskampagne 2021: Xinjiang und die Schweiz

 

Beziehungen China-Europa / Schweiz: zuerst die Wirtschaft, dann die Menschenrechte?

 

Zuerst das Portemonnaie: Soll das der Leitgedanke unserer Beziehungen mit China sein? Die Arbeitsplätze in unseren Unternehmen und Industrien sind wichtig, aber nicht um jeden Preis. Schwere Menschenrechtsverletzungen, wie die Unterdrückung der UigurInnen, dürfen nicht ignoriert werden.

 
 

Im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte und insbesondere seit Xi Jinping 2013 an die Macht kam, hat China stetig an strategischer, militärischer und vor allem wirtschaftlicher Macht gewonnen. China hat sich zu einem der wichtigsten globalen Akteure der Weltwirtschaft entwickelt. Und es baut seinen Einfluss weiter aus. Im November 2020, inmitten der globalen Pandemie, schloss das Land ein umfassendes Freihandelsabkommen mit 14 asiatisch-pazifischen Staaten. Ende Dezember 2020 schlossen auch die Europäische Union (EU) und China – ihr zweitgrösster Handels­partner – ihre Verhandlungen über ein Investitionsabkommen ab. Doch China hat dieses Abkommen an eine strikte «Nichteinmischung – durch die Europäer – in seine inneren Angelegenheiten» geknüpft. Unter den Teppich gekehrt werden die Kritik an den Zwangsarbeitslagern in Xinjiang und die Unterdrückung der Demokratiebewegung in Hongkong. Das Abkommen muss noch vom Europäischen Parlament ratifiziert werden, aber die Stimmen der China-kritischen Abgeordneten sind in der Minderheit und werden die Ratifizierung des Textes nicht verhindern. Die Verhandlungsposition der EU wird somit weiter geschwächt, denn diese hat die Gelegenheit verpasst, deutliche Worte gegenüber einem Land zu finden, das in Sachen Menschenrechte keine Skrupel hat.


Was die Schweiz betrifft, so ist zwischen den beiden Ländern seit 2014 ein Freihandelsabkommen (FHA) mit breitem wirtschaftlichem und kommerziellem Geltungsbereich in Kraft. Für Schweizer Unternehmen und für die Arbeitsplätze in unserem Land sind diese Abkommen natürlich von grosser Bedeutung. Das FHA war sogar das erste seiner Art zwischen China und einem kontinentaleuropäischen Staat. Er wurde jedoch vom Parlament ohne die von der Zivilgesellschaft geforderten menschen- und arbeitsrechtlichen Garantien verabschiedet, und der Text wurde nicht dem fakultativen Referendum unterstellt, obwohl Umfragen zeigen, dass 75 % der Schweizer Bevölkerung eine bessere Berücksichtigung der Menschenrechte in den vom Bund ausgehandelten FHA wünschen.


Das FHA hat sicherlich zum Aufschwung der Schweizer Wirtschaft beigetragen. Und zum wirtschaftlichen Aufstieg Chinas, während sich die Menschenrechtssituation in China verschlechtert hat. Tibeter, Uiguren, Oppositionelle aus Hongkong, Pandemie-Whistleblower, Christen, Falun Gong-Anhänger, Anwälte, Menschen­rechts- oder Umweltaktivisten – kurzum, alle, die sich der allmächtigen Kommunistischen Partei Chinas in den Weg stellen, werden verfolgt, zum Schweigen gebracht, inhaftiert, gefoltert, gnadenlos eliminiert. Selbst Bundesrat Ignazio Cassis räumte im Sommer 2020 ein, dass die Menschenrechtsverletzungen in China zunehmen. Es ist höchste Zeit, dass die Schweiz es mit Menschenrechtsfragen genauer nimmt und ihre Stimme gegen diese Verletzungen erhebt, insbesondere wenn sie sich gegen die uigurische Bevölkerung richten.


Diskretes Rückübernahmeabkommen mit China: auf Staatskosten!


Das 2015 mit China abgeschlossene Rückübernahmeabkommen ist lange Zeit unbeachtet geblieben. Die Schweiz hat mit etwa fünfzig Ländern solche Abkommen abgeschlossen, die es erlauben, Staatsangehörige zu identifizieren die sich illegal in der Schweiz aufhalten – wie zum Beispiel abgelehnte Asylbewerber – um sie in ihr Herkunftsland zurückzuschicken.


Das Abkommen mit China ist daher keine Ausnahme. Aber es erweist sich in mehrfacher Hinsicht als sehr proble­matisch. Zunächst einmal handelt es sich bei diesem Text um ein einfaches «technisches Abkommen» (im englischen Text «arrangement») und nicht um ein formelleres, von einem Bundesrat oder einem hochrangigen Diplomaten paraphiertes Übereinkommen, wie es mit den meisten anderen Ländern der Fall ist. Auf Schweizer Seite war das Staatssekretariat für Migration (SEM) für die Unterzeichnung zuständig. China wird durch sein Ministerium für Staatssicherheit vertreten. Weder der Name noch die Funktion der beiden Unterzeichner erscheint neben den Unterschriften. Es scheint, dass alles getan wurde, damit der Text so wenig Aufmerksamkeit wie möglich erregt. Inhaltlich erlaubt das Abkommen der Schweiz, Spezialisten der chinesischen Regierung einzuladen. Diese dürfen Nachforschungen anstellen über Personen, die wahrscheinlich aus der Schweiz weggewiesen werden, und diese Menschen befragen, um herauszufinden, ob sie chinesische Staatsangehörige sind oder nicht. Der ganze Aufwand (einschliesslich Flugtickets, Spesen, Kranken- und Unfallversicherung sowie Sicherheitsmassnahmen) geht auf Kosten des Bundes. Der Direktor des SEM stellt klar, dass das Abkommen die Tibeter nicht betrifft. Diese Bevölkerungsgruppe darf nicht nach China weggewiesen werden. Die Experten des SEM sagen, dass für die anderen chinesischen Staatsangehörigen die Risiken im Zusammenhang mit einer Rückkehr ernsthaft analysiert werden. Das SEM betont arglos, dass keine Anhörungen mit Menschen stattfinden, denen bei einer Rückkehr nach China Verfolgung droht. Wie aber kann das SEM sicher sein, dass diese Menschen – beispielsweise Uiguren oder Falun Gong-Anhänger – nach ihrer Rückkehr in die Heimat nicht von ihrer Regierung verfolgt oder bedroht werden? Und selbst wenn sie in der Schweiz bleiben: Was passiert mit ihren Familien, sobald ihre Identität aufgedeckt wurde? Sind Angehörige, die womöglich in China geblieben sind, dann noch in Sicherheit? Es ist so gut wie unmöglich oder auf jeden Fall sehr schwierig, eine Kontrolle der Rückkehrer oder ihrer Familien vor Ort zu gewährleisten. Die von der Schweiz oft angeführten diplomatischen Garantien sind unserer Meinung nach illusorisch. Laut dem SEM hat die Schweiz seit 2015 nur einmal von der umstrittenen Einladung Gebrauch gemacht. Und bekräftigt, dass die Schweiz auch ohne dieses im Dezember 2020 ausgelaufene Abkommen weiterhin chinesische Agenten einladen kann – dies auf der Grundlage der Verordnung über die Weg- und Ausweisung und Landesverweisung von ausländischen Personen. Warum also drängen die Schweizer Behörden auf eine Erneuerung dieses Abkommens? Ein Parlamentsausschuss wird sich im März dieses Jahres mit der Angelegenheit befassen. Letztlich wird aber der Bundesrat das letzte Wort haben. Die Zivilgesellschaft, einschliesslich ACAT-Schweiz, wird die Entwicklung dieses Dossiers weiterhin sehr aufmerksam verfolgen müssen.


Unsere aus dem Reich der Mitte importierte Kleidung: Um die Uiguren ist es sehr schlecht bestellt


Im Jahr 2020 häufen sich die Zeugen­aussagen und Berichte, die China zunehmend für seine grausame Unterdrückung der uigurischen Muslime in Xinjiang anprangern, insbesondere für die Zwangsarbeitslager und die gegen diese ethnische Gruppe entwickelte Politik der ideologischen Gleichschaltung. Doch diese Unterdrückung hat Auswirkungen ... auch auf unsere Portemonnaies und Schränke!

 

 
 

Zeit, hinzuschauen: China ist der grösste Baumwollproduzent der Welt, wobei 84 % der Produktion aus Xinjiang stammt.

(BILD: Anastasia Gepp auf Pixabay)

 

 
 

Tatsächlich wird ein Teil der im Westen zu tiefen Preisen gekauften Kleidungsstücke von Tausenden von Uiguren, die in diesen Lagern inhaftiert sind, in Fabriken hergestellt – mit Baumwolle, die in Xinjiang unter unmenschlichen Bedingungen geerntet wird. Führende Marken stehen im Verdacht, sich auf diesem Markt einzudecken (zum Beispiel H&M, C&A oder Calvin Klein). Und gemäss einer weltweiten Koalition von NGOs steht ein Fünftel der Baumwollprodukte mit Zwangsarbeit und Menschenrechts­verletzungen in Xinjiang in Verbindung. China ist der grösste Baumwollproduzent der Welt, 84 % der chinesischen Produktion stammen aus Xinjiang. Ausserdem kommen die meisten der in der Schweiz verwendeten Hygienemasken aus China. Viele Maskenhersteller bedienen sich der Zwangsarbeit. Die Masken, die wir verwenden, stammen möglicherweise aus dieser Quelle.

 

→ Die Petition « Free Uyghurs from forced labor in China » unterschreiben


Unter dem Hashtag #NoComplicity haben der Uigurische Verein Schweiz und die Gesellschaft für bedrohte Völker auf der Plattform Campax eine Petition organisiert, die den Bundesrat auffordert, das 2013 abgeschlossene Freihandelsabkommen mit China neu zu verhandeln. Dadurch soll sichergestellt werden, dass keine in die Schweiz importierten Produkte von uigurischen Zwangsarbeitern hergestellt werden. Die Petition fordert insbesondere die Einführung von «verbindlichen Klauseln zur Achtung der Menschenrechte», «soliden Kontroll­mechanismen» und dass «Beschäftigungs- und Arbeitsstreitigkeiten vor ein Schiedsgericht gebracht werden». Die Petition mit 23 000 Unterschriften wurde Anfang September 2020 dem Bundesrat übergeben.

 
Quellen: ACAT-Luxemburg mit forum.lu / humanrights.ch / Administration suisse / SwissInfo / Le Temps / Center for Security Studies, ETH Zürich / gfbv.ch / campax.org

 
 
 

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Kampagnendossier Karfreitag 2021 in Deutsch und Französisch (PDF)